1.Ältermann Norbert Klause mit

dem diesjährigen Gastredner

Dr.Jürgen Rohwedder

 

Gästerede Dr.Jürgen Rohwedder am 16.Juni 2014 im ConventGarten

 

 

 

Am 18. Oktober 1784 legte das Kanalschiff RENDSBURG morgens um 6 Uhr in Kiel Holtenau ab und ging durch den gerade fertiggestellten „Schleswig-Holsteinischen Kanal“ auf Probefahrt. Ein Paketboot, das normalerweise zwischen Kiel und Kopenhagen verkehrte, folgte ihm. Eine lustige und gemütliche Kanalfahrt wurde das für die Kanal-Kommission an Bord nicht. Denn es herrschte Gegenwind, das Kanalschiff musste von vier Pferden gezogen werden und kam nur langsam voran. Also machten beide Boote abends eine halbe Meile vor der nagelneuen Schleuse Kluvensiek irgendwo in der Landschaft an der Böschung fest. Am nächsten Morgen ging es um halb sieben weiter und um halb zwei am 19. Oktober 1784 erreichten beide Schiffe die Rendsburger Schleuse. Außer dem Gegenwind hatte es zum Glück keine Probleme gegeben, und damit war der Kanal sang- und klanglos eröffnet.

 

 Den Kanal zu bauen, war eine üble Plackerei. 7 Jahre lang hatten rund 4.000 Arbeiter sich 34 Kilometer lang durch feuchte Niederungen oder steinigen Grund gebuddelt. Sie hatten sich mit Dammbrüchen, abrutschenden Böschungen und anhaltenden Regengüssen herumgeschlagen. Und schließlich hatten Epidemien immer wieder weite Teile der Arbeiterschaft lahmgelegt. Die hygienischen Verhältnisse in den Unterkünften waren ja auch haarsträubend. Und viele Unterkünfte waren es natürlich auch. Denn sie hausten in Baracken, in Zelten oder bei Einheimischen in Notquartieren, wo sich bis zu 60 Mann einen Raum teilten. Da halfen auch die besten Medikamente nicht viel.

 

 Immerhin schufen sich die Mannen ein Ventil für ihren Frust: Sie sorgten dafür dass der dänische König neue Untertanen bekam. Denn in den Kirchenbüchern von Flemhude kann man zum Beispiel nachlesen, dass die Zahl der unehelichen Kinder während der Bauzeit des Kanals sprunghaft angestiegen ist.

 

Abgesehen davon, dass die Damen von der flotten Zunft natürlich auch Überstunden schoben. Und da half das Verbot über das - wie es so schön hieß - „Nachtschwärmen und der Verkehr mit liederlichen Dirnen“ natürlich gar nichts. Wir wissen ja: Not bricht Eisen.

 

 Trotz allem: Herausgekommen war ein Kanal von 43 Kilometern Länge zwischen Kiel und Rendsburg, der sich über die Eider nach Tönning fortsetzte. Und es war ein stattlicher Kanal. Er war an der Oberfläche 28,7 Meter breit, an der Sohle 18 Meter breit und besaß eine Tiefe von 3,45 Metern. Damit war er tiefer, als manche moderne Kanäle unserer heutigen Zeit! Und damit wurde er der erste Kanal der Welt, den seegehende Schiffe benutzen konnten

 

 Eine Meisterleistung der damaligen Ingenieure waren die sechs Schleusen, mit denen der Kanal rund 10 Meter Höhenunterschied zwischen Kiel und Rendsburg bewältigen musste. Sie waren so einzigartig, dass die Zeitgenossen aus ganz Europa nach Schleswig-Holstein pilgerten, um sie zu bestaunen. Vor allem die Leichtigkeit und Schnelligkeit, mit der man Schiffe durchschleusen konnte, war einmalig. Der ganze Vorgang dauerte nur zehn Minuten.

 

Und so zieht sich die Bewunderung durch die gesamte technische Literatur der Zeit. Stellvertretend für alle schrieb der Diplomat August von Hennings ein Jahr nach der Einweihung des Kanals:

 

 „Soviel ist gewiss, dass der Kanal und die Schleusen Werke sind, die in der Vollkommenheit der Ausführung nicht übertroffen werden können. Sie verdienen in der Tat mehr als die Pyramiden Ägyptens und die Gärten der Semiramis unter die Wunder der Welt gesetzt zu werden.“

 

 Allerdings wurde der Kanal zu einem teuren Vergnügen. Denn eigentlich hatte der dänische Staat für den Bau rund 620.000 Reichsbanktaler veranschlagt - etwa ein Zehntel des jährlichen Haushalts der dänischen Monarchie. Tatsächlich hat er aber wohl 2,3 Millionen Reichsbanktaler gekostet, also das Vierfache. Da müssen wir uns über den Berliner Flughafen und die Hamburger Elbphilharmonie nicht mehr wundern. Man kann den damaligen Bauherren nur zugute halten, dass sie die Schwierigkeiten des Geländes wohl unterschätzt hatten und mit dem Bau auch noch Neuland betreten haben. Immerhin hatten sie für den Bau ausgesprochen fähige Köpfe ausgewählt.

 

Letztlich aber hat sich das Unternehmen gelohnt. Denn dieser Kanal schlug zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen stand hinter dem Kanalbau der Gedanke, Handel und Wandel in den Herzogtümern Schleswig und Holstein zu fördern und den Einwohnern Nutzen zu bringen. Denn in seiner Kabinettsorder spricht Christian VII davon, dass „Wir zum Besten Unserer lieben und getreuen Untertanen den landesväterlichen Entschluß gefaßt…“ haben, durch den Bau eines Kanals „… den Handel zu fördern und auszubreiten sowie alle Gewerbezweige im Lande auszuweiten.“ Der Bau des Kanals war also eine, wie wir heute sagen, Infrastrukturmaßnahme zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur.

 

 Zum anderen verkürzte der Kanal zum ersten Mal die Passage zwischen Nord- und Ostsee. Noch mehr - er machte sie sicher. Denn der lange Weg rund Skagen war besonders im Winter oft lebensgefährlich. Nicht umsonst heißt die westliche Bucht unterhalb Skagen die „Jammerbucht“, weil dort unzählige Schiffe wegen der Westwinddrift, wegen der tückischen Strömungen, wegen fehlender Seezeichen und Nebel verloren gegangen sind. So schätzte etwa 1859 ein Zeitgenosse den jährlichen Schaden durch Schiffsverluste vor der jütischen Westküste, dem Skagerrak und dem Kattegat auf rund eine Million Reichsbanktaler – also jährlich fast die Hälfte der Baukosten des Kanals. Und nicht zu vergessen sind die Tausende von Seeleuten, die durch Schiffbruch ums Leben kamen.

 

 Schließlich wurde der Kanal auch ein Wirtschaftsfaktor in den Herzogtümern. Davon profitierten die regionale Wirtschaft und die Infrastruktur der Städte, die am Kanal lagen. Ein schönes Beispiel dafür ist der Schiffbau in Tönning, Friedrichstadt und ganz besonders in Nübbel.

 

 Der Staat hatte nicht ganz soviel davon, denn die Einnahmen an Zöllen und Abgaben deckten die Ausgaben für Bau und Unterhaltung kaum. Gesamtwirtschaftlich aber hat der Kanal, der später in Eiderkanal umgetauft wurde, seine Zweck durchaus erfüllt. Und in den 11 Jahren seines Bestehens, bis ihn der Kaiser Wilhelm-Kanal im Jahr 1895 ablöste, haben ihn gut 300.000 Schiffe passiert. Darunter übrigens auch Jules Verne mit seiner Dampfyacht SAINT MICHEL III im Jahr 1881.

 

 Ich habe die Geschichte des Eiderkanals so ausführlich geschildert, weil sich die Bilder gleichen, wenn wir heute den NOK betrachten. Da gibt es jede Menge Déjà-vu-Erlebnisse. Tatsächlich sind Aufgabe, Vorteile und Kosten des NOK im Prinzip die gleichen wie die, die zum Bau des Eiderkanals geführt haben. Am Rande möchte ich noch bemerken, dass die Panama- Kanalgesellschaft, die den jetzigen gigantischen und richtig teuren Ausbau des Panama-Kanals verantwortet, den Ausbau des Kanals so begründet hat, dass man in dem ausführlichen Papier ohne Schwierigkeiten jedes Mal das Wort Panama-Kanal durch Nord-Ostsee-Kanal ersetzen kann.

 

 Wir haben in Zusammenhang mit dem Eiderkanal und seinen Bauwerken von einem Wunder gesprochen. Ein Wunder am NOK ist, dass die Schleusen überhaupt so lange gehalten haben. Das zeugt schon von der soliden Bauweise aus Kaisers Zeiten.

 

 Aber Scherz beiseite: Der NOK erfüllt die gleiche Funktion, wie einst der Eiderkanal. Für Rendsburg, für Schleswig-Holstein und für ganz Deutschland. Er ist eine der bedeutenden Lebensadern unseres Landes.

 

Direkt und indirekt sind von ihm allein in Schleswig-Holstein rund 7.000 Arbeitsplätze abhängig. Hier in Rendsburg können wir es ja sehen: Die beiden Werften, der alte und der neue Hafen sind die besten Zeugen dafür, was der Kanal bewirkt. Aber er wirkt auch weit über die Landesgrenzen hinaus. Für den Hamburger Hafen ist er eben so wichtig. Hier hängen an den Feederverkehren, die von Hamburg in die Ostsee gehen, einige tausend Arbeitsplätze. Das gleiche gilt für die deutschen Nordseehäfen, vor allem Bremerhaven, die im Feederverkehr auf den NOK nicht verzichten können.

 

 Letztlich strahlt seine Bedeutung bis ins tiefste Binnenland. Deutschland lebt vom Export. Jeder dritte Arbeitsplatz ist direkt oder indirekt von der Produktion für ausländische Märkte abhängig. Dahinter verbergen sich 13 Millionen Familien. Und der größte Teil von ihnen arbeitet im tiefsten Binnenland.

 

 Über 90 Prozent des deutschen Außenhandels und immerhin noch 40 Prozent des Binnenhandels mit der EU werden über See per Schiff abgewickelt. Das heißt: Die Unternehmen sind darauf angewiesen, dass ihre Erzeugnisse über See transportiert werden können. Zum Seetransport gehören moderne und leistungsfähige Häfen. Die haben wir in Deutschland. Dazu gehören aber auch:

 1. der leistungsfähige und ungehinderte Zugang vom und zum offenen Meer. Dies ist umso wichtiger, als die

    Schiffe immer größer werden, und

 

 2. die leistungsfähige Anbindung an das bundesweite Verkehrswegenetz – Straße, Schiene und

     Wasserstraßen.

 

 In diesem Kontext ist der NOK unverzichtbar. Der NOK ist ein integraler Bestandteil des norddeutschen Netzwerks aus seinen Häfen, seiner internationalen Schifffahrt und seinen seewärtigen Zugängen. Und hier ist er nicht nur Motor für die Wirtschaft Norddeutschlands, sondern ebenso für die Industrie in Süddeutschland, die für den Export ihrer Produkte – immerhin gut 40% - auf die maritime norddeutsche Verkehrsinfrastruktur dringend angewiesen ist. Letztlich geht es also um Tausende von Arbeitsplätzen in ganz Deutschland.

 

Dazu trägt der NOK bei, und tatsächlich übersteigt der gesamtwirtschaftliche Nutzen des Kanals bei weitem die Kosten für den Erhalt und Ausbau.

 

 Ich muss hier nicht die Leidensgeschichte der letzten Jahre wiederholen, die wir mit dem NOK erlebt haben. Ich will hier auch nicht die Unsäglichkeiten wiederholen, die zu dem traurigen Zustand des Kanals geführt haben. Das ist der Schnee von gestern, und Sie alle kennen das zum Genüge. Aber ich möchte hier festhalten, dass es nur dem geschlossenen Auftreten von ganz Schleswig-Holstein und Norddeutschland zu verdanken ist, dass wir jetzt viele gute Nachrichten bekommen haben.

 

 Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung weist dem NOK ausdrücklich hohe Priorität zu. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat die Mittel für den Neubau der 5. Schleusenkammer in Brunsbüttel und die Mittel für den Ausbau der Oststrecke bewilligt. Und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung soll 25 neue Stellen für dringend benötigte Planer und Ingenieure bekommen.

 

 Soweit so gut. Das ist schon eine ganze Menge. Aber wir sind noch lange nicht über den Berg. Denn jetzt muss es darauf ankommen, dass die Arbeiten zügig vorangehen. Die Zeit drängt und in der Vergangenheit ist viel Porzellan zerschlagen worden. Die Negativschlagzeilen der letzten Jahre und die traurige Wahrheit dahinter haben das gute Image des Kanals erheblich beschädigt. Schlechte Nachrichten können wir deshalb nicht mehr brauchen. So sehr wir den Mitarbeitern der Kanalverwaltung für ihren oft übermenschlichen Einsatz zu danken haben, mit dem sie oft das Schlimmste verhütet haben, so sehr müssen wir jetzt darauf achten, dass es bei der Instandsetzung des Kanals voran geht und dass kein Sand in das Getriebe der vielen Rädchen kommt.

 

 Und ich möchte hier noch Eines bemerken: Zur Zeit geht es in erster Linie darum, den Kanal wieder instand zu setzen. Der Kanal muss jedoch zukunftsfähig gemacht werden. Dazu ist die Begradigung der Oststrecke nur der erste Schritt. Tatsächlich fehlt aber noch immer die Vertiefung des Kanals um einen Meter. Denn alle Prognosen sagen der Ostsee eine Verdoppelung der Verkehre bis zum Jahr 2030 voraus. Der dynamisch wachsende Ostseeraum wird die Umschlagleistungen der Häfen deutlich wachsen lassen.

 

Klar ist auch, dass die Schiffe immer größer werden. Gerade deshalb ist auch die Vertiefung des NOK auf Dauer unerlässlich. Andernfalls werden Verkehre zunehmend auf die Route rund Skagen ausweichen.

 

 Halten wir fest: Wir wollen nicht undankbar sein für das, was wir bis heute erreicht haben. Das war schon viel. Aber es liegt in unserem eigenen und ebenso im nationalen Interesse, dass wir weiter darauf drängen, dass der NOK wie sein Vorgänger der Eiderkanal auch in Zukunft die Funktion ganz und gar erfüllt, die ihm zugedacht ist. Wir müssen also wachsam bleiben, wir dürfen uns nicht zufrieden mit dem Erreichten zurücklehnen und wir dürfen uns nicht genieren zu sagen: „Wir haben den Kanal noch lange nicht voll“!

 

 

 

Vielen Dank!

 

 

 

mit freundlicher Genehmigung des Redners